Lebensgeschichten

erinnert... erzählt... aufgeschrieben!

Der Heringsbändiger

Wer 1927 geboren wurde, war dem Verderben besonders nahe: Dies war der erste Jahrgang, der dem vollen Einfluss der nationalsozialistischen Erziehung in Schule und Jungvolk ausgesetzt war, und der letzte Jahrgang, der regulär in die Kasernen einberufen und als des Führers jüngste Rekruten an der Front verheizt wurde.
Martin Schwabe ist einer aus diesem Jahrgang. Gerade weil er als sogenannter „Vierteljude“ auch die Schattenseiten des Naziregimes zu spüren bekommen hatte, meldete er sich kriegsfreiwillig, er wollte „dazugehören“. Mit sechzehn wurde er Soldat, mit einundzwanzig kehrte er aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Hause zurück in die DDR, wo er, der sich nach den bitteren Erfahrungen von Krieg und Gefangenschaft geschworen hatte, nie wieder mit den Wölfen zu heulen, seines Lebens auf Dauer auch nicht froh wurde ...

Ruth Damwerth: Der Heringsbändiger. Martin Schwabes Geschichte des 20. Jahrhunderts.ISBN: 3-937772-05-7; TB 220 Seiten, 15,90 Euro

Mutter arbeitete, während ich noch sehr klein war, zeitweise als Werberin bei Persil. Ich war, während sie arbeitete, in Pflege bei der Lehrersfrau Motsche in der Lindenstraße. Frau Motsche zog mir das erste Mal eine Art Uniform an, ein Braunhemd mit Schlips. Ich kann mich nicht mehr selber dran erinnern, aber mir ist oft erzählt worden, wie niedlich das aussah, wenn ich als drei- oder vierjähriger Knirps die marschierenden SA-Männer vor mir versuchte nachzuäffen…“

Seine Vergangenheit ist rund 1, 5 Zentimeter dick. Er hält sie in der Hand. „Der Heringsbändiger“ steht drauf. Ein Leben, schwarz auf weiß. Druckfrische 215 Seiten. Martin Schwabe hat viel erlebt in den vergangenen 78 Jahren. Weimarer Republik, Nazionalsozialismus, Kalter Krieg, Wiedervereinigung. „Meine Nachbarn sagten, ich solle alles aufschreiben“, schmunzelt Martin Schwabe. Mit Ruth Damwerth findet er eine Autorin, die es versteht, das Gesprochene ins Geschriebene umzusetzen. Und Schwabe erzählt viel. Hat viel zu erzählen. „40 Stunden Tonbandaufnahmen waren es bestimmt“, erinnert sich die münstersche Autorin.

Grevener Zeitung vom 03.09.2005 über „Der Heringsbändiger“