Lebensgeschichten

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Sashtipoorthi: Bikulturelle Betrachtungen eines stolzen Deutschen

Der Sanskrit-Ausdruck Sashtipoorthi bedeutet wörtlich übersetzt: Vollendung des sechzigsten Lebensjahres. Gemeint ist damit aber viel mehr, als nur ein bestimmter Zeitpunkt im Leben oder die damit verbundene Feier. In diesem Ausdruck verbirgt sich eine ganze Philosophie: Ein Mensch im Alter von sechzig Jahren hat seine Aufgaben im Leben erfüllt. Er darf und soll sich aus dem Korsett seiner Verpflichtungen befreien und sich losgelöst von äußeren Zwängen der Entwicklung seiner eigenen Persönlichkeit widmen. Hindus feiern diesen Tag daher häufig mit der gleichen Zeremonie, mit der auch eine Geburt begangen wird.Mich spricht diese Philosophie sehr an, nicht nur, weil ich demnächst sechzig werde…Ich kenne solche Korsetts, gesellschaftliche, berufliche oder auch wirtschaftliche aus meinen eigenen Erfahrungen in zwei Kulturen. Zudem sehe ich als Arzt, dass das Gefangensein in einem wie auch immer gearteten Korsett die Ursache für unterschiedlichste Erkrankungen sein kann. Daher möchte ich aus den Erfahrungen meiner eigenen Biographie und als Arzt die Botschaft überbringen: Traue dich, dich gegen die Zumutungen und Einengungen des Korsetts zu wehren – mit dem notwendigen Selbstbewusstsein und dem dazugehörigen Mut. So bewahrst du deine Selbstachtung und den Respekt von deinen und für deine Mitmenschen.

Simon, Julian: Sashtipoorthi: Bikulturelle Betrachtungen eines stolzen Deutschen
ISBN: 978-3-937772-34-9, Taschenbuch, 158 Seiten, 13,00 EUR

Am 18. Februar 1980 landete ich bei Kälte und bedecktem Himmel auf dem Flughafen in Frankfurt.
Als erstes bin ich meinen Namen losgeworden. Julian Simon Pendanathu House stand in meinem Pass. Die Grenzbeamten hielten Pendanathu House, meinen eigentlichen Familiennamen, für einen Teil der Adresse und Simon für meinen Nachnamen. Das wurde entsprechend in irgendwelche offiziellen Dokumente eingetragen, ich war von der langen Reise viel zu müde, um groß zu protestieren, zu durcheinander von meiner ersten Flugreise und sprach auch kein Deutsch. (…) Mein Bruder Joseph hatte sich von Lüdenscheid aus nach Frankfurt auf den Weg gemacht, um mich abzuholen. Es war kalt und diesig, ich war vollkommen übernächtigt und staunte durch den Nebel meiner Müdigkeit und den grauen Dunst draußen die Umgebung, die hinter den Autofenstern an mir vorbeizog, an. Ich begriff nicht, was ich sah. Ich hatte doch immer gehört, dass Deutschland ein reiches Land war. Aber wo waren sie denn, die Kautschukbäume und Kokospalmen - die Pflanzen, die in Kerala ein sicheres Einkommen garantierten? Von der Autobahn aus sah man nur Wald, ab und zu ein Gebäude. Wo sollte da der Reichtum sein?